Günter Wallraff: 40 Jahre Ganz unten – Ein Blick auf die Missstände!
Günter Wallraff reflektiert 40 Jahre nach „Ganz unten“ über Arbeitsmigration, soziale Ungleichheiten und Identitätspolitik in Köln-Ehrenfeld.

Günter Wallraff: 40 Jahre Ganz unten – Ein Blick auf die Missstände!
Am 21. Oktober 1985 wurde ein Buch veröffentlicht, das bis heute in den Herzen vieler Menschen nachhallt: „Ganz unten“ von Günter Wallraff. Mit über fünf Millionen verkauften Exemplaren in deutscher Sprache ist dieses Werk das erfolgreichste Sachbuch Deutschlands und hat längst internationale Beachtung gefunden, wurde es doch in 38 Sprachen übersetzt, selbst in Ländern ohne nennenswerte Arbeitsmigration fand es seinen Platz. Wallraff, der heute 83 Jahre alt und in Köln-Ehrenfeld lebt, hat in den vergangenen Jahrzehnten durch seine kritischen und oft riskanten Reportagen deutliche gesellschaftliche Missstände aufgezeigt.
Sein wohl bekanntester Streich war die Undercover-Recherche, bei der er sich als türkischer Migrant Ali Sigirlioğlu ausgab. Wallraff führte dieses Experiment über zwei Jahre hinweg, wobei er sein Aussehen mit Kontaktlinsen und einer Perücke veränderte und einen stereotypen Akzent annahm. Ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, dokumentierte er die Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten in verschiedenen Berufen, von der Arbeit in einer Thyssen-Stahlfabrik bis hin zu einem Job bei McDonald’s. Diese Erlebnisse sind nicht nur schockierend, sondern verdeutlichen auch die menschlichen Kosten, die mit einem mangelhaften Arbeitsrecht verbunden sind.
Ein mutiger Blick hinter die Fassade
Wallraff stellte in seinem Buch nicht nur offen die physischen und psychischen Belastungen dar, die er als türkischer Arbeiter erlebte, sondern machte auch auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen aufmerksam. Fehlende Schutzausrüstung, niedrige Löhne und sozialer Druck führten dazu, dass Migranten oft wie „entbehrliche Werkzeuge“ behandelt wurden. Seine Erfahrungen rührten an die Wurzeln der damaligen gesellschaftlichen Probleme und haben längst zur Gründung von Initiativen wie „Ausländersolidarität“ geführt, um Neuankömmlinge in Deutschland zu unterstützen. Diese grenzüberschreitenden Themen sind heute aktueller denn je, besonders im Kontext der heutigen Arbeitsmigranten aus Osteuropa und Afrika, die unter ähnlichen prekären Bedingungen arbeiten müssen.
Wallraff selbst hat nie um seinen eigenen Kopf gefürchtet. Er erhielt Morddrohungen aufgrund seiner schonungslosen Recherchen. Während des Interviews mit der Berliner Zeitung äußerte er, dass er sich als Teil einer ungerechten Gesellschaft empfindet, die oft die Ausgegrenzten ignoriert. „Die Gräben waren schon vor Corona unüberbrückbar“, so Wallraff, der auch die Kluft zwischen politischen Institutionen und den Bedürfnissen der Menschen kritisch hinterfragt. Die Corona-Pandemie hat seiner Ansicht nach diese Spaltung nur weiter verstärkt.
Erinnerungen und besserer Umgang mit Ungerechtigkeiten
Günter Wallraff hat es stets verstanden, für die Schwächsten in der Gesellschaft einzutreten und deren Geschichten zu erzählen. Zehn Jahre nach der Veröffentlichung von „Ganz unten“ konnten erste Verbesserungen der Arbeitsbedingungen verzeichnet werden, darunter die Einführung von Staubmasken und Schutzhelmen. Auf Rückfragen, wie er die Veränderungen in der Gesellschaft wahrnimmt, macht er klar, dass es noch einen langen Weg gibt, um soziale Ungleichheiten anzugehen. „Man sollte die positiven Errungenschaften bewahren, aber gleichzeitig die Herausforderungen, die vor uns liegen, nicht aus den Augen verlieren“, erklärt er.
Wallraffs unermüdlicher Einsatz für Gerechtigkeit und Menschenrechte bleibt unvergessen, und sein Werk wird weltweit, auch in Ländern, in denen er nicht selbst war, aufmerksam gelesen. „Ganz unten“ zeigt eindringlich die dunklen Seiten der Arbeitsmigration und lässt uns auch heute nicht unberührt. Sein Engagement bietet nicht nur einen Blick in die Vergangenheit, sondern regt uns an, auch gegenwärtige Missstände aktiv anzugehen und Veränderungen zu fordern.